Zum Inhalt springen

Mein Pferd wartet auf mich draußen am Tor

Zu Weihnachten ist unsere wichtigste Aufgabe, auf die Schritte von Freudenboten zu schauen. Wer bringt Freude ins Haus?

Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt.
Jes 52,7

Bei Hundri rennt man gegen Windmühlen an. Alle Bemühungen, dass ein wenig Ordnung in sein Haus kommt, dass die unzähligen Kinder sauber und gut angezogen sind, sind umsonst. Ich war verzweifelt, sah kein Licht am Horizont. Es wurde dunkel und ich ging nach Hause. Aus unserer Musikschule hörte ich noch Klänge – und schaute hinein. Da waren Proben für ein Weihnachtskonzert, das die Kinder im Gemeindesaal aufführen wollten. Neben den frommen Liedern wollten sie noch ein wenig Stimmung machen. Kinder standen auf der Bühne, hinter ihnen Jugendliche mit Instrumenten. Schon die ersten Takte holten mich aus meinen trüben Gedanken. Da sah ich Alin am Mikrofon. Er spielte auf der Geige, noch vorsichtig. Dann sang der junge Bub mit voller Inbrunst sein Lieblingslied. Es war ihm aufs Herz geschrieben: „Mein Pferd wartet auf mich, draußen am Tor. Es weiß, dass ich es liebe. Heute werde ich ihm neue Hufeisen schlagen, damit es das schnellste wird. Lauf, lauf, trage mich in die Weite! Wir reiten in das stolze Tal. Dort schlafe ich bei ihm im Stall.“ Er erhob die Hand und schlug eine Peitsche in der Luft. Er pfiff durch die Finger. Er hob seinen schwarzen Zigeunerhut vom Kopf und ich hatte den Eindruck, jetzt reitet er davon. Ich sah gleichsam sein Pferd neben ihm, das er so liebte. Alin bekam viel Beifall von den anderen Kindern, er strahlte.
Alin kommt aus einer Roma-Familie am Dorfrand. Sein Vater verdient das tägliche Brot mit seinen Pferden und dem Wagen. Er ist sehr zuverlässig und wird von den rumänischen Bauern auf dem Feld eingesetzt. Sein Glück und seine Liebe gehört den Pferden. Die Liebe zu den Pferden hat auch Alin. Er durfte oft auf dem Wagen mitfahren und seine Pferde hören auf ihn.
Schon lange wollte er in der Musikschule Geige lernen, aber kein Platz war frei. So wartete Alin ein Jahr, bis er endlich beginnen konnte. Jetzt ist er Sänger und Geiger in der Roma-Truppe und betet seinen Lehrer an. Er ist sein Idol und er schaut sich alles von ihm ab. Sein Traum ist, mit dem Lehrer in der Truppe auf Tournee zu sein.
Mich haben seine Stimme und seine Liebe zum Pferd aus der Dunkelheit herausgerissen. Alin ist ein Freudenbote für mich und für alle, die ihn hören.

Während ich das schreibe, kommt Moise in mein Zimmer und bringt mir eine farbenfrohe Zeichnung, die er gemalt hat. Er taucht aus einem Kanalloch am Bahnhof in Bukarest auf. In beiden Händen hat er ein Sackerl zum Schnüffeln. Ich staune, so schöne Farben in der Drogenhölle. Moise erklärt mir aber, dass er in diesem Moment eine Zukunft für sich gesehen hat. Er wusste, ich würde ihm helfen. Dann gingen wir zum nahegelegenen Markt auf eine Kuttelflecksuppe. Unsere Freundschaft trägt bis heute – ihn und mich, in allen Abenteuern.
Ich bin umgeben von Freudenboten. „Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt.“ Bei mir kommen sie meist aus tiefen Löchern und nicht von den Bergen herab. Ich horche auf ihre Schritte.

Zu Weihnachten ist unsere wichtigste Aufgabe, auf die Schritte von Freudenboten zu schauen. Wer bringt Freude ins Haus?