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Herrschen und dienen – zwei Verhaltensformen, die innerlich verbunden sind.

In welchen Beziehungen lebe und arbeite ich? Wo liegen meine Stärken?

Sarai, Abrams Frau, hatte ihm nicht geboren. Sie hatte aber eine ägyptische Sklavin. Ihr Name war Hagar.
Gen 16,1

Meine Mutter war eine starke Frau. Ausgestattet mit großer Lebenskraft – innerhalb von vierzehn Jahren brachte sie zehn Kinder auf die Welt –, mit einem gesunden Selbstbewusstsein, Tatkraft, Organisationstalent und realistischem Bezug zum Geld führte sie mit Liebe und großem Verantwortungsgefühl unsere Großfamilie. Zugleich übernahm sie in unterschiedlichen Bereichen Aufgaben für die Dorfgemeinschaft. Die Autorität, die sie ausstrahlte, verschaffte ihr einen ausgezeichneten Ruf. Sie war eine Herrin in gutem Sinne! Sie konnte das sein, weil es auf unserem Bauernhof eine zweite starke Frau gab, eine Schwester des Vaters. Sie hieß Maria, von uns im Dialekt „Maidele“ genannt. Ein Ausdruck, in dem unüberhörbar auch das alte Wort „Maid“ für Mädchen mitklingt. Durch ihre Geburt war sie in unserer bäuerlichen Familien- und Arbeitsgemeinschaft zwar keine Dienstmagd, übernahm aber diese Rolle stillschweigend aufgrund ihrer Lebenssituation und ihres Charakters.

Außergewöhnlich war schon ihr Aussehen: Sie hatte rote Haare. Das war zur damaligen Zeit eine Belastung, eine Stigmatisierung. Der Lehrer in der Schule, so klagte sie mir später einmal, liebte es, sie zur Bestrafung an ihren roten Zöpfen vor allen anderen Schülern hochzuziehen, um zu zeigen, wie dumm die Rothaarigen seien. Die Burschen des Dorfes kannten den Spruch „Lieber tot als rot“ nicht, doch sie begegneten der Tante respektlos und überschütteten sie mit Spott, Hohn und Diskriminierung. Der mittelalterliche Aberglaube, dass Hexen vor allem rothaarig seien und mit Teufel und Höllenfeuer in Verbindung gebracht wurden, tat sein Übriges dazu. So blieb sie unverheiratet und kinderlos. Aber all das brach nicht ihren Lebensmut, sondern machte aus ihr eine belastbare, stille, starke und hart arbeitende Frau. Sie übernahm bereitwillig „in Gottes Namen“ – so ihre Worte – alle Arbeiten im Stall und auf den Feldern. Sie kannte alle Tiere mit Namen und sorgte für deren Futter. Im Sommer unter ihrer hellen und gegen Sonnenstrahlen empfindlichen Haut leidend, im Winter tagein, tagaus den Heustaub einatmend. In ihren freien Stunden war die Tante viel allein im Wald unterwegs, sammelte Heilkräuter, Beeren und Schwammerl für die Familie.
Für uns Kinder aber war das Allerschönste ihre außergewöhnliche zärtliche Liebe zu uns. Nie schliefen weniger als drei Kinder in ihrer Schlafkammer, zuerst in der Wiege und später in eigenen kleinen Betten. Dabei konnte sie meist selbsterfundene Geistergeschichten phantasievoll erzählen. In ihrer Gegenwart wurden wir still und fühlten uns wohl. So wurde die Tante für unsere Mutter eine starke Hilfe im Hintergrund, unsichtbar, dienend und liebend.

Sara ist eine starke Frau, eine Herrin. Treu und solidarisch ging sie mit Abraham den gemeinsamen Lebensweg. Jetzt, beim Aufbau einer Familiengemeinschaft, kommt sie an eine Grenze. Aber sie findet mit ihrer Magd Hagar einen Weg, der beiden hilft.