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Ein Hundebiss

Welches Unglück hat dich sicherer und stärker gemacht?

Nach diesen Ereignissen erging das Wort des HERRN in einer Vision an Abram: Fürchte dich nicht, Abram, ich selbst bin dir ein Schild; dein Lohn wird sehr groß sein.
Gen 15,1

Wir wanderten über die Hügel, vorbei an den Schafherden, als plötzlich Gruia, einer der großen, braunen, zotteligen Hirtenhunde, auf mich zulief und mich in die Wade biss. Zuerst kam der Schock, dann spürte ich den Schmerz, sah das Blut, die zerfetzte Hose – und den Hund, der wie versteinert dastand und mich anschaute. Dann trottete er davon. Im Krankenhaus wurde meine tiefe Wunde genäht. Wochenlang ging ich nicht mehr auf diesem Weg, weil ich dem Ungeheuer nicht mehr begegnen wollte. Die Welt wurde enger für mich, weil ich mich auch bei anderen Hunden nicht mehr sicher fühlte. Da ermutigten mich die anderen, ich solle mich mit dem Hund versöhnen, sonst bliebe lebenslang die Angst. So machten wir uns auf, mit einer Wurst in der Tasche und Zittern im Herzen. Da sah ich sie in der Ferne, die Schafe und die Hundehorde. Ich wollte davonlaufen, aber da war keine Chance. Die Hunde entdeckten uns und erfüllten ihre Pflicht, die Herde zu beschützen. Bellend rasten sie heran, schnupperten, umkreisten uns. Sie rochen die Wurst. Jeder bekam ein Stück, sie waren zufrieden. „Und jetzt musst du den Gruia streicheln“, sagte einer aus der Gruppe. Er machte es mir vor, Gruia war still. Ich riss mich zusammen, legte dem zotteligen Vieh vorsichtig meine Hand auf den Nacken und sagte mit süßer Stimme: „Du elender Sauhund, wollen wir Freunde werden? Wenn du mich nochmal beißt, erschlage ich dich. Also, machen wir Frieden?“ Der Hund schaute mich mit großen braunen Augen an, ein treuer Blick. Seither nahm ich ihm jedes Mal eine Wurst mit, und er begleitete uns manchmal fast bis nach Hause.
Vor kurzem waren wir wieder unterwegs, in einer anderen Gegend, als eine Hundehorde uns entgegenkam. Zuerst eine kleine Gruppe, dann wurden es mehr, über zwanzig. Zähnefletschend, geifernd, sich gegenseitig aufhetzend liefen sie um uns her. In den Kniekehlen fühlte ich den feuchten Atem der nahen Schnauzen. Ich rief ihnen zu. Die Worte verstanden sie zum Glück nicht, doch durch die Sprachmelodie versuchte ich Frieden zu suggerieren. Flotten Schritts gingen wir weiter, bis wir endlich die kläffende Meute losgeworden waren. Ohne die Freundschaft mit Gruia hätte ich das nie geschafft.

„Nach diesen Ereignissen“: Bei mir war der Hundebiss ein solches Ereignis, bei Abram viel mehr: Geiselnahme, Krieg und die Feier des Überlebens. Da „erging das Wort des HERRN in einer Vision an Abram: Fürchte dich nicht, Abram“. Aus den größten Gefahren hatte Abrams Herz gelernt. Er hatte Gott verstanden: „Ich selbst bin dir ein Schild; dein Lohn wird sehr groß sein.“ Die Katastrophe hatte Abram nicht klein, sondern erst richtig groß gemacht. Der wilde Hund Gruia ließ mich verstehen, dass ich mich nicht fürchten muss. Er hat mich befreit von der Angst, die andere aggressiv macht.

Welches Unglück, welcher Biss hat dich sicherer und stärker gemacht?