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Bis aufs Blut verbunden

Welche engen Bindungen bestimmen mein Leben? Wie ist mein Verhalten in guten und in schlechten Zeiten?

Abram brachte ihm all diese Tiere, schnitt sie in der Mitte durch und legte je einen Teil dem anderen gegenüber; die Vögel aber zerschnitt er nicht. Da stießen Raubvögel auf die toten Tiere herab, doch Abram verscheuchte sie.
Gen 15, 10-11

Es war nicht leicht, in einem kleinen Kreis ein Gespräch zu diesem biblischen Vers in Gang zu bringen. Zu fremd das Bild, zu missverständlich, zu brutal, nicht nur für Tierschützerinnen und Vegetarier. Ein Türöffner war der Hinweis auf das Phänomen der „Blutsbrüderschaft“. Ein Teilnehmer schickte mir nach diesem Gespräch folgenden Text.

„Der Gedanke der Blutsbrüderschaft brachte mir als erstes eine Erinnerung an eine Lektüre der Kindheit. Damals las ich, wie Karl Mays Winnetou und Old Shatterhand einen Bund fürs Leben schlossen, indem sie ihr Blut vermischten. Eine Szene, die zwar für ein Kind interessant, aber weit weg von meinem Leben war. Jetzt hat sich das Szenario geändert. Ich sitze meiner Schwester gegenüber. Wir haben seit gut zwei Jahren kein Wort mehr miteinander gesprochen. Der letzte Kontakt hat bei beiden tiefe Wunden hinterlassen. Unsere gemeinsame Kindheit war durchaus glücklich. Als aber der Vater immer mehr dem Alkohol verfiel und wir beide mit Eintritt in die Pubertät in einen existentiellen Überlebenskampf getrieben wurden, zerfiel unsere Beziehung. Ich will nicht sagen, dass wir uns bis aufs Blut gehasst haben. Aber es gab diese Momente des Hasses, die jeden Kontakt unmöglich machten.
Und dennoch sitzen wir beide jetzt hier und blicken auf einen gemeinsamen Freund, der eine Organspende benötigt. Egal, was uns gerade voneinander trennt, ein Dritter, der Hilfe benötigt, steht vor und zwischen uns, als Bindeglied. Beide starren wir ihn an. Ich habe Angst, in die Augen meiner Schwester zu blicken, weil mir langsam klar wird, wie viel Zeit ich durch die Streitereien mit ihr vergeudet habe. Beide sind wir hier, weil wir etwas von uns einem Freund zur Verfügung stellen möchten. Wir werden unter Umständen ein Leben lang durch Blut, das in unseren Adern fließt, neu verbunden sein: der Freund mit mir oder mit meiner Schwester. Unsere Blicke treffen sich. Ohne Worte reichen wir uns die Hände, stehen auf, liegen uns in den Armen. Verbunden in Sorge um unseren Freund und getragen von der Hoffnung, dass es gutgehen wird.“

Es ist ein eigenartiger Ritus, der im Bibelvers als eine Vision Abrahams geschildert wird. Abraham soll sich vorstellen, wie er Tiere zerstückelt – dabei fließt viel Blut – und die jeweiligen Teile einander gegenüberstellt. Nach Ansicht der Theologen ist es das Bild eines Vertragsabschlusses von zwei Parteien, die sich gegenseitig verpflichten, bis aufs Blut verbunden zu bleiben. Alle, die diesen Bund angreifen, soll Abraham verscheuchen. So schildert die Bibel einen ersten Bund des Blutes zwischen Gott und dem Menschen. Ein Ritus, der sich wiederholen wird beim Bundesschluss zwischen Gott und dem Volk Israel in der Wüste Sinai durch Mose und im Abendmahlsaal beim Bundesschluss zwischen Gott und allen Völkern durch Jesus. Ein eindrucksvolles Bild für Ernsthaftigkeit, Tiefe und Konsequenzen einer treuen und verlässlichen Beziehung und Liebe. Ein Gegenprogramm zum „Hassen bis aufs Blut“.