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Auf friedlicher Suche nach neuem Lebensraum

Bei welchen Menschen lebe ich auf? Für welche schaffe ich Räume zur Entfaltung?

Dann wartete er noch weitere sieben Tage und ließ wieder eine Taube aus der Arche.
Gen 8,10

Im siebten Jahr seines Pontifikats nützte der 84-jährige Papst Franziskus die Gelegenheit, in Gesprächen mit dem britischen Journalisten Austen Ivereigh die Grundanliegen seines Dienstes noch einmal deutlich zu machen. Geworden ist daraus eine Art Testament mit dem Titel „Wage zu träumen! Mit Zuversicht aus der Krise“, in dem der Papst einer durch Corona erschütterten Menschheit und einer verunsicherten Glaubensgemeinschaft konkrete Aufgaben besonders ans Herz legt, damit beide auch in Zukunft Lebensräume der Gerechtigkeit und des Friedens bleiben. Wege, die er selber beispielhaft beharrlich und treu gegangen ist und weiterhin gehen will.

Was die Menschheit betrifft, so kämpft Papst Franziskus unentwegt für ein menschenwürdiges Leben vor allem der Ärmsten und Geringsten. Deshalb führte ihn seine erste öffentliche päpstliche Reise nicht zu einem weltberühmten Wallfahrtsort, sondern auf die Flüchtlingsinsel Lampedusa, wo er in einer kurzen programmatischen Rede über die Grausamkeit der Welt und die Globalisierung der Gleichgültigkeit klagte. Eingeschlossen in den eigenen Wohlstand, seien die Herzen der Menschen verhärtet und hätten die Fähigkeit zum Mitleiden und Weinen verloren. Bei der Begegnung mit den 600.000 aus Myanmar nach Bangladesch geflüchteten muslimischen Rohingyas sagte er das aufrüttelnde Wort, dass die Anwesenheit Gottes heute den Namen Rohingya trage. Und nach einem gemeinsamen Besuch mit dem ökumenischen Patriarchen Bartholomäus und dem orthodoxen Erzbischof aus Athen im Lager Moria auf der Insel Lesbos nahm er in einem prophetischen Zeichen zwölf Migranten nach Rom mit. In Wort und Tat kämpft Papst Franziskus für den Glauben der Bibel, dass jeder Mensch eine Ikone Gottes ist und deswegen alle ein Recht auf die Güter der Schöpfung haben, das Recht auf Land, Arbeit, Wohnraum und Gesundheit. Sein Credo: Bekommen die Armen solche Rahmenbedingungen für ein würdevolles Leben, wird die gesamte Menschheit gesünder.

In Bezug auf die Gemeinschaft des Glaubens, deren Hirte er ist, steht Papst Franziskus vor einer anderen harten Prüfung. In einer ihm vom Orden auferlegten zweijährigen Auszeit hatte er alle 37 Bände der „Geschichte der Päpste“ des österreichischen Historikers und Diplomaten Ludwig von Pastor gelesen. So fühlte er sich für die Arbeit im Vatikan vorbereitet. Aber dann erschütterte ihn, wie sehr sich Vertreter von reformerischen und restaurativen Ideen gegenseitig durch ihre „abgeschottete Geisteshaltung“ Leben und Arbeiten erschwerten. Deren jeweilige ideologische Fixierung und Starrheit im Streit um Wahrheit und Zukunft lähmten die Gemeinschaft, machten sie narzisstisch, unattraktiv und unfruchtbar. Sie drohten sie zu spalten. Mit der Revitalisierung von synodalen Prozessen, also dem gemeinsamen Suchen und respektvollen aufeinander Hören, versucht Papst Franziskus diese Gefahr abzuwenden. Er ist – um im Bild der Bibel zu bleiben – eine Friedenstaube, die für die Menschheit und für die Glaubensgemeinschaft neue Lebensräume erkundet.

Bei welchen Menschen lebe ich auf? Für welche schaffe ich Räume zur Entfaltung?

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