Gründen – Vertiefen – Reifen
Dann sprach Gott: Die Erde bringe Lebewesen aller Art hervor, von Vieh, von Kriechtieren und von Wildtieren der Erde nach ihrer Art. Und so geschah es. Gott machte die Wildtiere der Erde nach ihrer Art, das Vieh nach seiner Art und alle Kriechtiere auf dem Erdboden nach ihrer Art. Gott sah, dass es gut war.
Gen 1,24f
Der Saal ist prächtig geschmückt. Kostbare Gobelins hängen unter einem kunstvollen Fries, deckenhohe Vorhänge lassen nur diffuses Licht in den Raum fallen. Die Stühle sind in Reih und Glied aufgestellt. Uns gegenüber steht ein weißer Thron. Meine Mitbrüder und ich warten auf den Höhepunkt unseres 50-jährigen Jubiläums des „Collegio Internazionale del Gesù“. Es ist jener Ort in Rom, an dem Ignatius von Loyola den Jesuitenorden gegründet und bis zu seinem Tod geleitet hatte. Vor 50 Jahren machte ihn sein Nachfolger Pedro Arrupe zu einem internationalen Studienort, wo heute 50 junge Jesuiten aus fast 30 Nationen gemeinsam Theologie studieren.
Die Stimmung ist gut, wir blödeln, machen Selfies. Da geht die Tür auf, ruhig tritt Papst Franziskus ein. Klein und müde wirkt er in all dem Prunk. Seine Haltung hat nichts Theatralisches, genauso wenig seine Worte. Er kommt gleich zur Sache. Erinnern heißt sich wieder neu gründen, sagt er. Das heißt für uns, zu dienen und nicht bedient zu werden, auch wenn das Verleumdung und Verfolgung auslöst. Aber unser Trost ist nicht weltliche Anerkennung, sondern Ostern. Wenn wir dazu nicht bereit sind, sind wir nicht gut verankert. Dann setzt er mit dem zweiten Punkt fort, dem Wachstum. Ein Prozess, der im Verborgenen stattfindet und tieferer Sinn der langen Ausbildung ist. Der Papst verwendet das Bild eines mit Gott vernetzten Herzens, das es sich nicht gemütlich einrichtet, sondern ständig wachsen möchte. Das Krisen nicht fürchtet, weil sie Zeichen des aktiven Ringens mit den Versuchungen des eigenen Egos und einer verweltlichten Spiritualität sind. In dieser Auseinandersetzung empfiehlt er uns das persönliche Gespräch mit dem Gekreuzigten.
Schließlich kommt er zum dritten Punkt, dem Reifen. Wir reifen, indem wir Früchte hervorbringen, die wiederum Samen auf die Erde fallen lassen. Aber bitte nicht dort, wo schon viele säen! Franziskus fordert uns auf, dorthin zu gehen, wo Ideologien aufeinanderprallen, an die Grenzgebiete, wo die Kirche nicht ist, in die Wüsten der Menschheit. Sie sind Teil des einen Lebensraumes, der einen Welt, die Gott so liebt. Auch wenn wir uns wie Lämmer unter die Wölfe gesandt fühlen. Abrupte Pause, er blickt uns an: „Aber bleibt Lämmer!“ Fordernde Worte von einem Mann, der weiß, wovon er spricht. Mitten in all dem Prunk höre ich seine Sehnsucht nach einer armen Kirche für die Armen, die mehr einem Feldlazarett gleichen soll. Deren Hirten wie ihre Schafe riechen und die Eucharistie nicht wie eine Belohnung für die Braven verteilen sollen. Und ich höre das Heulen der Wölfe, das ihm entgegenschallt. Es geht mir unter die Haut, denn es kommt von gar nicht so fern.
Wie gerne aber würden wir uns diese Wildtiere vom Leibe halten! Im Schöpfungshymnus werden sie an dritter Stelle genannt, nach den zahmen Tieren, dem Vieh, und nach den Kriechtieren. Möglichst weit weg. In der zweiten Aufzählung hingegen rücken sie an die erste Stelle. Es ist die Perspektive Gottes, der ihnen nahe sein will.
Diese Sehnsucht pocht im Herzen des Papstes. Sie lässt ihn unermüdlich immer wieder neu aufbrechen. Gründen, Vertiefen, Reifen – dieser Dreischritt hält ihn dabei fit.