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Notwendige Grenzen

Vom verwandelten Baum des Lebens

Dann sprach Gott, der HERR: Aber jetzt soll der Mensch nicht seine Hand ausstrecken, um auch noch vom Baum des Lebens zu nehmen, davon zu essen und ewig zu leben.

Gen 3,22b

 Das Jugendzentrum pulsiert. Es ist Freitag abends. Seit Stunden geben sich Jugendliche die Türklinke in die Hand. Gruppenstunden laufen in separaten Räumen. In der Küche wird gebacken. Es riecht zunächst nach frischem Teig, dann nach Verbranntem. Lautes Lachen folgt. An der Bar wird ein Schinken-Käse-Toast nach dem anderen verzehrt. Jugendliche drängen sich um den Computer, um Musik zu hören. Kein Lied schafft es, länger als 30 Sekunden gespielt zu werden. Die Decke vibriert. Im ersten Stock läuft eine Polsterschlacht. Kraftschreie werden von Schlagzeugschlägen übertönt. Im Musikraum versuchen zwei ältere Teenager verzweifelt, ihre Rasselbande in den Griff zu bekommen. Für die 10-15jährigen verwandelt sich das alte Innsbrucker Palais zu einem Jugendparadies. Sie eignen sich die Räume an. Für einige ist es ihr zweites Zuhause. Vor allem Sebi und Luki sind seit drei Jahren Stammgäste. Kein Freitag vergeht ohne sie. Auch an den anderen Tagen schneien sie mittags herein. Selbst Samstag vormittags, wenn geschlossen ist, versuchen sie, eine offene Tür zu finden. Dann haben sie das Jugendzentrum für sich alleine. Eine ganz besondere Zeit.

Ab etwa 20 Uhr tröpfeln langsam ältere Teenager ein. Einige von ihnen wechseln ihre Rolle vom Gruppenleiter hin zum Gruppenmitglied. Sie sind teilweise schon sechs Jahre in ihrer Gruppe, ihre Leiter sind heute Studenten. Feste Freundschaften sind gewachsen. Andere Jugendliche genießen die Bar, spielen Billard oder duellieren sich beim Tischtennis. Mehr als zehn Jahre Altersunterschied vermengen sich im Jugendzentrum, bis um 21 Uhr die Stunde für alle unter 14jährigen geschlagen hat. Sie müssen nun ihr Paradies der älteren Generation überlassen. Die Atmosphäre verwandelt sich vom kindlichen Chaos hin zur jugendlichen Lässigkeit. Laute Schreie und Verfolgungsjagden weichen zu Ende gespielten Liedern. Karten werden gezückt. Es wird getrunken und geplaudert. Aus dem Musikraum erklingen rhythmische Melodien. Das wollen sich Sebi und Luki nicht entgehen lassen. Sie empfinden die Zeitgrenze als ungerecht und verstecken sich. Ihr Rauswurf ist schon zu einem Ritual geworden: suchen, stellen, wegschicken.

Eine weitaus notwendigere Grenze zieht Gott gegenüber den Menschen. Ihnen soll der Zugang zum Baum des Lebens versperrt werden. Es ist zu ihrem Schutz. Denn in ihrer derzeitigen Haltung wäre ein ewiges Leben eine Strafe. Sie würden Sisyphus gleichen, der sich sinnlos abmüht und ständig auf sich selber zurückgeworfen wird. Diese aktuellen Folgen aufgrund der Trennung von Gott würden ewige werden. Mit dem Rauswurf beginnt Gott aber erneut, um den Menschen zu werben. Für ihn geht er bis zum Kreuz und stellt damit den Baum des Lebens in die menschliche Welt hinein. Denn die offene Seite des Gekreuzigten wird zum Tor zur Gemeinschaft mit Gott. Nach ihr soll der Mensch nun die Hand ausstrecken.

Sebi und Luki sind sich treu geblieben. Selbst mit 17 Jahren sind sie noch Lausbuben. Und gleichzeitig ist eine gewisse Reife nicht zu leugnen, mit der sie im Jugendzentrum anpacken. Wenn sie nun über die nervigen 13jährigen klagen, erinnern sie sich an das Rauswurfritual und spüren den schützenden Wert von Grenzen.