Zwei Seiten des menschlichen Bodens
Dornen und Disteln lässt er dir wachsen und die Pflanzen des Feldes wirst du essen.
Gen 3,18
„Welcome to Sodom“ – ein harter Film. Eine Dokumentation darüber, wie 250.000 Kilogramm illegal eingeschmuggelter Elektroschrott aus Europa in Ghana eine blühende Lagune in eine riesige Müllhalde verwandelt haben. Doch trotz aller verstörenden Bilder birgt der Film eine positive Botschaft. Denn er zeigt in beeindruckenden Szenen, wie Mensch und Tier diesem hart gewordenen Boden ihr tägliches Brot abringen. Abgemagerte Schafe, herzzerbrechend blökend, die in der Abfallwüste doch da und dort etwas zum Knabbern finden. Ein junges Mädchen – aus kulturellen Gründen und des Schutzes wegen als Junge verkleidet – durchwühlt mit einer Art selbstgebasteltem „Magnetpflug“ die verbrannte Erde, um verscharrte Eisenteile herauszufischen und für ein paar ghanaische Cedis zu verkaufen. Junge Männer zertrümmern mit schweren Hämmern Fernseher, Kühlschränke, iPhones und sonstige Handys und verpassen mit ihren rhythmischen Schlägen der Müllhalde eine eigene „Melodie“. An mehreren auflodernden Feuern brennen hitzeunempfindliche Burschen aus dem „Kabelsalat“ der Elektrogeräte das wertvolle Kupfer und tauchen die Abfallwelt immer wieder in dunkle Rauchwolken. Und mitten im Ringen um das tägliche Brot dann Bilder der Freude über die Geburt eines Kindes, mit Mikrophon und vor riesigen Boxen – denn wir können hier alles reparieren! – im Sand tanzende und rappende junge Menschen. Erwachsene mit Stolz in den Augen, weil sie trotz Armut und bedrohter Gesundheit in dieser außergewöhnlichen „Bodenkultur“ das Leben bestehen. Eine moderne Form, dem Harten, den Dornen und Disteln des Bodens zu begegnen und ihm auch Früchte zum Leben und Überleben zu entlocken.
Wachgerufen hat der Film in mir Bilder aus der Kindheit. Als wir auf den in über tausend Meter hoch gelegenen Wiesen aus dem spärlich sprießenden Gras Disteln mit ihren violetten Köpfen, weiß blühenden Wiesenkerbel und andere giftige Gewächse entfernen mussten, damit sie nicht in das Heufutter für die Tiere kamen. Eine eher mühsame und anstrengende Arbeit, denn es gab noch keine Pflanzenschutzmittel und keinen Kunstdünger. Schön dagegen und voll guter Stimmung war es im Herbst bei der Ernte. In der „Stube“, also im Wohnzimmer, lagen Dutzende Krautköpfe. Das Kraut wurde in ein großes Holzfass gehobelt, gewürzt, mit einem Holzbrett zugedeckt und mit einem großen Stein beschwert. So stand dann während des gesamten Winters auf dem Herd in der Küche ein Topf mit Sauerkraut, gemeinsam mit Kartoffeln die tägliche Nahrung. Dass das Kraut heute wegen seiner therapeutischen Wirkung zu den „Glorious Greens“ zählt, beweist, dass unsere Väter und Mütter sehr klug und lebenstüchtig waren. Und dass die Bibel die erste Begegnung des Menschen mit dem Boden realistisch formuliert. Die Schlange bekommt Staub zu fressen, der Mensch muss seine Nahrung dem Boden abringen und auch von ihm geschenkt bekommen. Zwei Seiten des menschlichen Bodens. Mit den Worten Martin Bubers: „Dorn und Stechstrauch lässt er dir schießen, so iss denn das Kraut des Feldes.“