Wenn Frau und Mann sich verstehen und zusammenarbeiten, werden beide ganze Menschen
Und der Mensch sprach: Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau sollte sie genannt werden, denn vom Mann ist sie genommen.
Gen 2,23
In den von Martin Buber gesammelten Erzählungen über spirituelle Leitgestalten des Chassidismus – einer im 18. Jahrhundert entstandenen frommen Erweckungsbewegung im osteuropäischen Judentum – kommen vorwiegend Männer als geistige und soziale Führer, als Lehrer und Prediger, als Heiler und Ratgeber zu Wort. Bei näherem Lesen der literarischen Zeugnisse ändert sich aber der erste Eindruck. Alle diese Männer sind verheiratet, und starke, charaktervolle, intelligente und kluge Frauen kommen ins Bild. Solidarisch gehen viele den oft von Armut und vielfachen Anfeindungen geprägten Lebensweg ihrer Männer mit. Vor allem aber tauchen sie in vielen Geschichten als jene auf, die zum Lernen anregen, die Rat geben, die Neues entdecken. Eine besonders schöne Szene ist mit der Frau des Rabbi Levi Jizchak von Berditschew festgehalten, dessen Stärke in seiner ausgeprägten und kreativen Gebetskultur lag. Von Perle – nomen est omen – ist folgendes Gebet überliefert. „Wenn sie die Sabbatbrote knetete und buk, pflegte sie zu beten: ,Herr der Welt, ich bitte dich, hilf mir, dass mein Levi Jizchak, wenn er am Sabbat über diese Brote den Segen spricht, dasselbe im Sinn habe wie ich in dieser Stunde, da ich sie knete und backe!‘“ Eine Übereinstimmung der Herzen! Beten und Arbeiten, die ineinanderfließen, vorbildhaft sich ergänzend, gemeinsam von Frau und Mann gelebt.
In der Bibel ist Adam, der Mensch, der allein bleibt, das bedürftigste Geschöpf. Darum schildert sie die Differenzierung der Geschlechter als gemeinsames Anliegen von Gott und vom Menschen. Beide sind auf der Suche nach einem ganzheitlichen, vollständigen Menschen. Was Gott, der Schöpfer, dann schafft und was der Mensch endlich findet, ist ein Du, das beides ist, festgehalten im hebräischen Wort „kenigdo“: ein Gegenüber, ein Partner, eine Partnerin, für Gespräche, Auseinandersetzungen, Lernen, jemand, der an seiner Seite steht, der mitgeht, solidarisch und treu, verlässlich und hilfreich. Verständlich, dass der Mensch angesichts eines solchen „Wunders“ in Begeisterung ausbricht und verzückt – verliebt – ruft: Endlich die/der, worauf ich gewartet habe und nach der/nach dem ich auf der Suche war! Die hebräische Sprache drückt dabei die Differenzierung der Geschlechter anders aus als die deutsche. Das Hebräische betont mit demselben Wortstamm Isch, also Ischa – die Frau, und Isch – der Mann, die Einheit, die Zusammengehörigkeit. Die deutsche Sprache übersetzt mit Frau und Mann und betont damit den Unterschied, die Verschiedenheit. Beide Aspekte helfen in der Suche nach einer geschlechtergerechten Sprache. Zumindest die Bibel eignet sich nicht für einen ideologischen Geschlechterkampf. Ihre Botschaft ist klar: Wenn Frau und Mann sich verstehen und zusammenarbeiten, werden beide ganze Menschen.