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Gegensatzpaare

Wenn bittere Enttäuschungen zu neuen Wegen führen

Abram zog von Ägypten in den Negeb hinauf, er und seine Frau mit allem, was ihm gehörte, und mit ihm auch Lot.
Gen 13,1

Die Enttäuschung war bitter. Ihre beste Freundin war gewählt worden. Sie nicht. Jedes Jahr werden aus gut 60 Bewerbungen zwölf Jugendliche ins Gruppenleiteramt gewählt. Man kann sich zweimal aufstellen. Wer sich bewirbt, ist bereit, für fünf Jahre eine Jugendgruppe zu begleiten. Das heißt wöchentliche Gruppenstunden, Übernachtungswochenenden, Leiterrunden, Fortbildungs- und Planungswochenenden sowie zweiwöchige Sommerlager. Das ist ein Kommittent für die ganze Familie. Laura wäre dazu bereit gewesen, ebenso Jules. Er hatte als erster seine Bewerbung eingereicht. Dreimal nachgefragt, ob auch alle Formalitäten erfüllt seien. Sein Motivationsschreiben war perfekt formuliert. Sein Bewerbungsfoto zeigte einen humorvollen und sympathischen Teenager. Aber auch er schaffte es bei beiden Versuchen nicht in die Leiterrunde.
Für viele Jugendlichen der zehnten Stufe läutet eine verlorene Wahl das Ende ihrer Zeit im Jugendverband ein. Das Angebot für ihre Altersgruppe ist für sie nicht mehr anziehend.
Laura und Jules gaben aber nicht auf. Sie stellten sich für ein Leitungsamt für Schüler und Schülerinnen der Willkommensklassen auf. Seit der großen Flüchtlingswelle 2015 gibt es zwei Willkommensklassen am Canisius Kolleg und wer einen Schulabschluss erreichen möchte, kann anschließend in die Integrierte Sekundarschule „Pedro Arrupe“ wechseln. Insgesamt besuchen diesen Schulzweig gut hundert Jugendliche aus aller Welt. Die Vision ist ihre Integration in den Jugendverband. Doch das ist mühsamste Kleinarbeit. Während die Kinder des Gymnasiums mit zehn Jahren in den Gruppenstunden starten, sind die Jugendlichen der Willkommensklassen teilweise gleichalt wie ihre Leiter. Sie kennen die Kultur des gemeinsamen Spielens nicht und hinterfragen die Sinnhaftigkeit. Während die Kinder des Gymnasiums in Scharen und großer Begeisterung zu den Treffen laufen, müssen die Leiter des Arrupe-Zweigs ihren Grüpplingen nachlaufen oder warten auf sie vergebens.
Jeden Montag bricht Laura erneut auf, um Zeit mit ihren Schützlingen zu verbringen. Jules zieht mit ihr. Das erste Treffen verlief sehr gut. Beim zweiten kamen nur vier Mädchen. Beim dritten kam niemand. Laura überlegte sich neue Angebote für das vierte Treffen. Jules hatte einen Zahnarzttermin. Niemand kam. Beim fünften hatte ihr Leitungspartner das Treffen vergessen, beim sechsten einen Termin. Ab dann löste er sich quasi in Luft auf.

Man könnte aus Laura und Jules ein klassisches Gegensatzpaar kreieren, wie es sich zahlreich in biblischen Erzählungen findet: Kain und Abel, Jakob und Esau, Maria und Marta oder Abram und Lot. Nico ter Linden schreibt in seinem erzählerischen Genesiskommentar Abram die Rolle des Berufenen, des Glaubenden, des „wahren Israeliten“ zu, während Lot jenes verkörpert, was und wie ein Heide denkt und tut. Von Beginn folgt Abram den Ruf Gottes, während Lot nur mitzieht. Die Gegensätzlichkeit der beiden wird in den folgenden Versen noch weiter entfaltet und begründet schließlich die Abgrenzung Israels zu den Moabitern und Ammonitern, zu deren Stammvater Lot wird.

Die Dürren der Jugendarbeit bringen Lauras Treue und Hingabe zum Vorschein, während Jules‘ Glanz sich schnell in Luft aufgelöst hat. Inzwischen hat er sein Leitungsamt niedergelegt. Laura hingegen bricht heute mit zahlreichen Jugendlichen des Arrupe-Zweigs und weiteren Ehrenamtlichen zur ersten gemeinsamen Fahrt außerhalb von Berlin auf.