Kinship: not serving the other, but being one with the other
„Zur Frau sprach er: Viel Mühsal bereite ich dir und häufig wirst du schwanger werden. Unter Schmerzen gebierst du Kinder. Nach deinem Mann hast du Verlangen und er wird über dich herrschen.“
Gen 3,16
Letzte Woche begrub der Jesuitenpater Gregory Boyle seinen 235sten Jugendlichen. Todd wurde auf der Straße erschossen. Er war erst vor wenigen Wochen aus dem Gefängnis gekommen. Knapp die Hälfte seiner 32 Jahre hatte er hinter Gittern verbracht. Sein Cousin Keith brachte ihn zu Homeboy Industries, dem größten Resozialisierungszentrum für Gangmitglieder. Greg hatte es vor 30 Jahren in Los Angeles gegründet, nachdem er seinen ersten Jugendlichen begraben hatte.
In Rom kleben 15 junge Jesuiten an seinen Lippen, während er von seinen Erfahrungen in der Sozialarbeit erzählt. Sie selbst stammen aus Myanmar, Indien und Bangladesch, sowie aus Ungarn, Lettland und Österreich und arbeiteten mit Flüchtlingen, Leprakranken, physisch und psychisch Behinderten, Straßenkindern oder Flutopfern. Sie kennen die Mühen der Sozialarbeit, die Wechselbäder von erdrückender Not und Blitzlichtern der Hoffnung. Eine Atmosphäre der Seelenverwandtschaft ist im mitbrüderlichen Austausch spürbar. Die Wunden seines Herzens verdeckt Greg nicht. Gleichzeitig strahlt der Jesuit eine innere Ruhe aus, die seine Hörer begeistert.
„Greg, wie hältst du all diese Schicksale aus? Woher kommt dein Frieden?“ Zu Beginn seines Einsatzes wollte er jeden Homie, wie sich die Gangmitglieder nennen, retten. Wie ein Getriebener flitzte Greg auf seinem Fahrrad von einer Schießerei zur nächsten. Handelte Waffenstillstände aus, vermittelte Jobs, tröstete Mütter. Er konnte kaum schlafen. Jeder Rückfall eines Homies, jede Inhaftierung, jeder Tote warf ihn zurück, fühlte sich wie ein Scheitern an. Das Verlangen, die Welt zu retten, beherrschte ihn. Bis er begriff, dass es darin letztlich um ihn selbst ging. Es war nicht der Nächste, sondern sein Ego, das ihn antrieb und gleichzeitig vom Homie fernhielt. Erst als er bereit war, sich vom Jugendlichen berühren zu lassen, wurde sein Ego kleiner. Dann verwandelte sich das Du, das er rettend beherrschen wollte, in ein Wir, in eine gegenseitige Begegnung der Zärtlichkeit. Für den Gründer der Arche, Jean Vanier, liegt darin die höchste Form der Spiritualität. Für Greg wurde Zärtlichkeit zur Methode von Homeboy. Sie kreiert eine Seelenverwandtschaft mit dem anderen, ohne seine Freiheit zu verletzen. Es bleibt sein Weg. „Wir können nur den Weg zum Lichtschalter beleuchten, aber den Schalter muss jeder selbst betätigen.“ Gleichzeitig verlangt diese Weise, sich berührbar zu machen, eine große Bereitschaft zur Verletzlichkeit, aber keine, die einen niederdrückt, sondern eine, die lebendig macht.
Drastisch wird diese Verletzlichkeit mit den Schmerzen der Frau beschrieben. Im Moment der Geburt berühren sich Tod und Leben. Anstatt, wie von Gott angedroht, zu sterben wird Eva vielmehr zur Mutter des Lebens. Die Schmerzen sind keine Strafe Gottes, sondern ein kraftvolles Bild für den mühsamen Heilungsprozess, das eigene Ego sterben zu lassen, um wieder aus der ursprünglichen Gemeinschaft der Zärtlichkeit zu leben.
In ihr entspringt Gregs Frieden. Er will nicht mehr retten, sondern Gemeinschaft mit dem Homie. Seine heilende Erfahrung wurde zum Leitspruch von Homeboy. Kinship: not serving the other, but being one with the other.