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Ein Weihnachtsbesuch

Wo siehst du im Dunkel das kleine Licht?

Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.
Joh 1,5

Heute nehme ich Sie mit zu einem weihnachtlichen Besuch.
Es ist still und stockdunkel, nur der Sternenhimmel funkelt. Ich taste mich in den Hof, trete auf Plastik und etwas Weiches, hoffentlich sind es nur Essensreste. Hunde bellen nervös und umkreisen mich, wer kommt zu später Stunde? Da öffnet sich schon die Türe des zerfallenden Hauses. Unser Tischler hat sie im Herbst neu gemacht, weil sie nicht mehr zuging. Catalin empfängt mich fröhlich. Er ist der älteste, der von den Kindern noch zuhause ist. Die Mutter liegt mit Kleidern im Bett. Alles strotzt vor Dreck. Vier Kinder sitzen auf einer Couch oder auf dem, was von ihr noch übrig ist. Unter dem Berg von Wäsche und Ramsch vermute ich einen Sitzplatz, ich setze mich einfach oben drauf. Die Frau berichtet mit schmerzverzerrtem Gesicht. Heute ist ihr Mann zum Glück wieder weg. Er war eine Woche da, hat seinen Lohn fürs Schafehüten versoffen und sich um nichts und niemanden gekümmert. Wenn er – der Vater einiger ihrer Kinder – alle paar Wochen kommt, wirft er seine Frau raus. Dann muss sie zu seinem Bruder in die Hütte. Von dem sind auch einige Kinder, sagt sie. Der zwölfjährige Catalin lacht über seinen Vater: „Der Alte hält die Mama nicht mehr aus.“ Nun sind alle erleichtert, dass der Säufer wieder bei den Schafen ist.
Ich zähle die Namen der Kinder auf, sind es dreizehn? Zwei sind gestorben, ergänzt sie. „Eine hieß Luisa – sie habe ich nach deiner Mutter genannt. Aber sie war zu klein fürs Leben.“ Ich erinnere mich an die Beerdigung mit dem winzigen Püppchen im Sarg. Catalin zwinkert mir zu: „Drei sind gestorben, denn eines hat sie abgetrieben.“
Die Mutter stöhnt. „Ich war in den letzten Tagen so krank, dass ich niemanden mehr erkannt habe, selbst meine Kinder nicht. Ich dachte, ich muss sterben.“ „Das Herz tut weh?“, frage ich. Nein, nein, „fermecat“ – verzaubert. Jemand habe sie verwunschen. „Ein Fluch liegt auf mir.“ Sie erzählt, wie sie sich mit letzten Kräften in ein naheliegendes Kloster geschleppt habe, damit das Böse von ihr weiche. Mit Gebeten eines Mönchs, mit geweihtem Öl. Immerhin hatte sie dann wieder die Kraft, mit einem Fuhrwerk nach Hause zu kommen. Und da prügelten sich ihre zwei Schwiegertöchter. Eine war schwanger, sie verlor in der Nacht ihr Kind. Ist der Fluch noch im Haus?, fragt die geschwächte Mutter. Die vier Buben, die um sie herum sind, schauen sich an. „Ich möchte mit dir mitkommen“, fleht mich Ovidiu an. Er war im letzten Jahr in unserer Gemeinschaft und hat Schreiben gelernt. „Ich halte dich nicht auf, geh mit, wenn du willst“, sagt die Mutter mit letzten Kräften. Sie zieht tief an einer Zigarette, die Glut wirft etwas Licht in ihr Gesicht. Zum ersten Mal an diesem Abend sehe ich sie lächeln.

Zu Weihnachten erscheint das Dunkel schwärzer als sonst. Aber auch die kleinste Glut gibt Licht, wie im Evangelium: „Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ Das Dunkel bedroht uns: Krieg, Kälte, Einsamkeit, Krankheit, Sorgen um ein Kind. Aber die Mutter lässt ihren Sohn gehen, damit er eine Zukunft hat. Das Dunkel lässt uns das kleine Licht sehen.