„Die Liebe muss mehr in die Werke als in die Worte gelegt werden.“ (Ignatius von Loyola)
„Lamech war hundertzweiundachtzig Jahre alt, da zeugte er einen Sohn und er gab ihm den Namen Noach – Ruhe – . Dabei sagte er: Er wird uns aufatmen lassen von unserer Arbeit und von der Mühe unserer Hände mit dem Erdboden, den der HERR verflucht hat.“
Gen 5,28-29
Ein Apfel, ein Brot und ein Kaffee. Jeden Morgen dasselbe Ritual. Keine großen Gesten oder zwanghafter Smalltalk, sondern unverkrampftes Dasein. Nicht mehr und nicht weniger. Von Zeit zu Zeit ein kurzer Wortwechsel, ein Scherz, eine Nachfrage. Zeichen für das gegenseitige Interesse. Das Frühstück mit meinem älteren Mitbruder bildete einen erholsamen Gegenpol zum lauten Alltag der Jugendarbeit. Und den kennt er selbst nur zu gut.
„Ja, der Kersch ist schon etwas Besonderes!“ Dieses Lob hörte ich nicht selten über ihn und zwar von Müttern der Jugendlichen, die selbst vor Jahren im Innsbrucker Jugendzentrum aus und ein gingen. Damals waren Buben und Mädchen noch getrennt und die derzeitigen Jugendräume waren das Reich der Mädchen. In der heutigen Küche befand sich das damalige Büro meines Mitbruders. Das kleine Relief des Heiligen Christophorus neben dem Küchenfenster ist noch ein Erbstück von damals. Der legendäre Riese trug Menschen auf seinen Schultern über einen gefährlichen Fluss. Mit diesem Liebesakt wollte er Christus dienen. Kerschs Gestalt hingegen ist weniger mächtig, doch begleitete er auf andere Art zahlreiche Mädchen durch den Strom der alltäglichen Mühen. „Da hat er mich spontan ins Auto gepackt. Wir sind über den Brenner nach Italien gefahren und haben dort ein Eis genossen. Was Wohltuenderes hätte mir damals nicht geschehen können. Mit dieser Aktion hat er mich aus meinem Tief gezogen.“ Noch heute strahlen die Augen der dreifachen Mutter bei dieser Erinnerung. Worte verlor mein Mitbruder schon damals wenige. Gesprochen haben seine Taten.
Schon als Jugendarbeiter schenkte Kersch die Ruhe und Erholung von den alltäglichen Mühen, die sich Lamech von seinem Sprössling Noach erhofft hatte.
Daran hat sich bis heute nichts verändert. Die ganze Nacht dröhnte eines Nachts die Musik im Jugendzentrum. Ausgelassen wurde gefeiert, zwischen den Tanzenden war kaum ein Zentimeter Platz. Das Party-Team war im vollen Einsatz. Als neuer Leiter des Jugendzentrums war es für mich eines der ersten großen Feste und eine ordentliche Überforderung. Froh war ich, als endlich in den frühen Morgenstunden die Aufräumarbeiten abgeschlossen waren. Mein ganzer Körper sehnte sich nach Ruhe und Erholung. Der direkteste Weg zu meinem Zimmer führte durch den Notausgang über das angrenzende Stiegenhaus des Jesuitenkollegs. Doch kaum war ich durch die Tür geschlüpft, wehte mir ein stechender Geruch von Erbrochenen entgegen. Irgendwie müssen sich kurz nach Sperrstunde Betrunkene hierher geschlichen haben, um noch einen Absacker zu genießen. Innerlich fluchend folgte ich der Spur über mehrere Stufen, bis ich auf der obersten auf meinen knapp 80-jährigen Mitbruder traf. Da stand er mit Wischmopp bewaffnet und schwang ihn seelenruhig von einer Seite zur anderen. Dabei grinste er mich nur an und meinte: „Ja, ja, manche Dinge ändern sich nie.“ Erleichtert schmiegte ich mich an ihm vorbei, trottete den Gang entlang und fiel dankbar ins Bett. Zwei Dinge waren mir nun klar. Auf Kersch konnte ich zählen, aber heute muss er ohne meine Gegenwart seinen Apfel, sein Brot und seinen Kaffee genießen.