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Fluch auf den Kindern

Der Fluch bringt Belastungen ins Wort. Wie kann ich aus dem Gefängnis des schlechten Erbes entkommen?

Und Noach sagte: Verflucht sei Kanaan. Der Diener von Dienern soll er sein seinen Brüdern!
Gen 9,25

Wie oft hatten wir den Pferdewagen aus Ziegental losfahren gesehen, beladen mit dem Notwendigsten. Da war Narcisa mit ihren vielen Kindern vor ihrem gewalttätigen Mann zu Verwandten ins Nachbardorf geflohen. Dort gesellten sie sich zu den vielen Bewohnern in einer elenden Hütte ohne Strom und Wasser. Bis sie sich zerstritten oder die geschlagene Mutter sich beruhigt hatte und die Truppe wieder zurückkehrte. Die Kinder hassen ihren Vater. Wenn er einmal als Tagelöhner arbeitete, wurde der Lohn meist in Schnaps umgesetzt. Dann begann er Frau und Kinder zu beschimpfen und verprügeln. Irgendwann zogen Frau und Kinder ganz ins Nachbardorf und ließen ihn allein mit dem jüngsten Sohn. Sie wollten nichts mehr von ihm wissen, auch nachdem er bei einem schweren Unfall einen Fuß verloren hatte. Narcisa fand bald einen neuen Partner, mit dem sie auf eine große Farm arbeiten ging. Dort wohnten sie in einer Kammer und hatten keinen freien Tag. Die Mutter wollte ihre Töchter holen, sie sollten bei der schweren Arbeit helfen. Ana und ihr Freund kamen. Jetzt waren sie zu viert in dieser Kammer und wurden wie Sklaven gehalten. „Holt uns hier raus!“, flehte die fünfzehnjährige Ana. Auf der Fahrt brach es aus ihr heraus: „Mein Vater hat uns das Leben zur Hölle gemacht! Und sie, sie ist wieder mit einem Alkoholiker zusammen. Ich will nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Ich will nicht werden wie sie.“ Wir gaben dem jungen Paar eine schöne Unterkunft, der junge Mann bekam Arbeit, Ana sollte das letzte Schuljahr abschließen. Doch eines Tages waren sie verschwunden. Ich fand sie in der Roma-Siedlung bei seiner Familie, in einem Abstellraum. Schimmelbefallene Wände, undichtes Dach, keifende Schwiegermutter, betrunkener Schwiegervater. Die hübsche Ana stand am Waschtrog und schrubbte die Wäsche. Verschämt schaute sie mich an. „Warum seid ihr weggegangen?“ „Ich weiß es nicht“, flüsterte sie, und dann: „Ich bin schwanger.“ Sie geht den gleichen Weg wie ihre Mutter. Ana und ihre Schwestern tragen als junge Mädchen schon das erste Baby auf dem Arm, leben mit Säufern und fliehen eines Tages mit der Pferdekutsche.

Ana ist ein begabtes Mädchen, doch der Fluch der Familie scheint sie nicht loszulassen. Warum muss sie wie viele andere Frauen in der Siedlung wie eine Sklavin leben? Vom Mann geschlagen, von den Kindern überfordert? Für ihre Aufgaben ist sie zu jung, und eine Ausbildung erhält sie auch nicht mehr. Sie weiß, dass das Unglück von den Eltern kommt, tobt wie eine junge Löwin im Käfig, kettet sich aber noch mehr an ihre Vorfahren. Ihr Schimpfen befreit sie nicht, sondern erniedrigt sie noch mehr. Wieder ein Mädchen, an dem das Wort Noachs sich erfüllt: Sie wird „Dienerin von Dienern“! Mit diesem Fluch fasste Noach eine Realität ins Wort, die unerbittlich ihren Lauf nimmt.

Befreiung für die Kinder kann nur geschehen, wenn sie die Schwächen des Vaters oder der Mutter sehen und „zudecken“, wie es die Brüder von Ham machten. Ham aber hat durch sein böses Reden über den Vater die eigene Minderwertigkeit betont. Verständnis für den betrunkenen Vater und die leichtfertige Mutter, das ist viel verlangt. Und doch ist die Ehrfurcht vor den Eltern, wie sie sind, der Preis für die Freiheit der Kinder.

Der Fluch bringt Belastungen ins Wort. Wie kann ich aus dem Gefängnis des schlechten Erbes entkommen?